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„Die Nachhaltigkeitsziele sind gemeinsamer Nenner“

Exklusiv-Interview mit Daniel Obst

Daniel Obst ist einer von zehn LinkedIn Top Voices für Nachhaltigkeit und leidenschaftlicher Anhänger der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Der Experte für Nachhaltigkeit, Transformation und Kommunikation ist Vater zweier Kinder, für die er sein Leben umkrempelte:

 

Anstatt weiter bei einem Versicherungskonzern in der Digitalisierung zu arbeiten, machte sich Daniel Obst als Berater für Nachhaltigkeit selbstständig. Der Transformationsexperte begleitet heute Unternehmen u.a. beim Wandel zu Ressourcenschonung, sozialer Verantwortung und ökologischer Kompetenz. Und natürlich zu den Nachhaltigkeitszielen der UN. Im Gespräch mit SQS Deutschland offenbart der Nachhaltigkeits-Speaker, was ihn wachgerüttelt hat, über den Königsweg vom Wissen zum Handeln, und worüber die Tagesschau neben Sport noch berichten sollte.

Herr Obst, was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie?

Für mich ist Nachhaltigkeit ausgedrückt in den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den SDGs, die sowohl ökologische, soziale und ökonomische Faktoren umfassen. Diese Nachhaltigkeitsziele sind der größte gemeinsame Nenner der Definition von Nachhaltigkeit, den wir auf dieser Erde haben. Wir brauchen nicht über ESG nachzudenken, sondern haben mit den SDGs alles, was wir brauchen – und darin auch reichlich übersetzt, was das für Unternehmen bedeutet. Wir selbst haben ein Reifegradmodell entwickelt, an dem man ablesen kann, welche Entwicklungsphasen und -schritte ein Unternehmen bei den einzelnen SDGs gehen kann. Zum einen. Zum anderen wäre da als Definition noch, dass wir es schaffen, allen Menschen auf dieser Erde ein faires Leben zu ermöglichen, das zukunftstauglich ist. Alle Menschen heißt, auch zukünftige Generationen, die noch nicht oder wie meine Kinder jetzt gerade geboren sind.

Nachhaltigkeit ist als Verzicht geframt, dabei ist es eine echte Chance und etwas wirklich Bereicherndes. Das muss in die Köpfe.

Daniel Obst

Stichwort SDGs: Welche sind für Sie aktuell am wichtigsten?

Das wichtigste ist für mich Ziel Nummer 17: Partnerschaften. Für Unternehmen gesprochen können das vielleicht Konkurrenten sein, aber es ist ganz wichtig, sich zusammenzutun, um eine gemeinsame Entwicklung vorabzubringen, denn Menschen haben die größte Wirkung, wenn sie sich mit anderen zusammentun. Das finde ich ganz wichtig! Zum Beispiel Unternehmen, die sich mit anderen zusammentun, um als Einkaufsgruppe auf gemeinsame Lieferanten zuzugehen. Das wird von ganz vielen Unternehmen unterschätzt. Dieses Prinzip muss man sich zunutze machen.

Daniel Obst

Wie können sich Unternehmen zusammenschließen?

Ein solcher Ort, um sich zusammenzutun, ist beispielsweise der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft BNW. Diesen Verband empfehlen wir, wenn sich Kunden mit Nachhaltigkeit beschäftigen und das Thema voranbringen wollen. Dafür ist das ein schöner Ort.

Sie haben Ihre Kinder erwähnt, die Auslöser dafür waren, dass Sie sich dem Thema Nachhaltigkeit zugewandt haben. Die Fridays-for-Future-Bewegung soll eine Rolle gespielt haben…

Für mich persönlich war das der Moment, der mich wachgerüttelt hat. Ich dachte, Autsch und jetzt? Das Klima-Thema war mir zuvor bewusst, aber die Dringlichkeit hatte ich verschlafen. Da war dieser Gedanke, dass meine Kinder in zehn Jahren im Fridays-for-Future-Alter sind und wenn Sie mich dann fragen, Papa, was hast Du damals gemacht, dann will ich eine gute Antwort für sie haben. Und mir und meinen Kindern in die Augen schauen können. Wir alle können der Fridays-for-Future-Bewegung dankbar sein, weil sie diese wichtige Klimakrise gesellschaftsfähig gemacht hat. Wir versinken in unserem Hamsterrad und müssen das durch solche Demonstrationen immer wieder auf die Agenda bekommen. Übrigens ist das auch ein Beispiel, wie viel man gemeinsam erreichen kann – Greta Thunberg war am Anfang alleine und jetzt ist eine globale Aktion daraus geworden.

Zwischen etwas wissen und danach handeln, klafft eine Lücke – oder ein Hamsterrad –, Pandemie und Plastikmüll zeigen das auch: Wie könnten wir Ihrer Meinung nach diese kognitive Dissonanz überwinden oder zumindest verringern?

Das ist die Königsdisziplin. Zum Überwinden gehört Verständnis und das fängt für mich mit Aufklärung an. Ich denke, dass wir in der breiten Masse ein Aufklärungsproblem haben. Es gibt durchaus Menschen, die vieles wissen, aber wenn man in der breiten Gesellschaft nach den 17 Nachhaltigkeitszielen fragt, dann kennen die meisten sie nicht oder ihre Antworten zur Definition von Nachhaltigkeit sind extrem unterschiedlich. Da ist es also erstmal total wichtig, einen Konsens darüber herzustellen, was Nachhaltigkeit bedeutet. Und dieses Wissen führt zu einem Reifeprozess, denn je mehr man über Nachhaltigkeit weiß, desto sensibler wird man für dieses Thema, möchte mehr wissen, versteht es besser und achtet mehr darauf. Und so verselbstständigt sich der Prozess und das schließt dann Stück für Stück diese kognitive Dissonanz.

Das klingt einfach. Warum ist es trotzdem so schwierig?

Das liegt am persönlichen Reifeprozess. Je weniger ich weiß, desto weniger möchte ich damit zu tun haben, und desto weniger kann ich mit Informationen dazu anfangen. Das funktioniert wie beim Lernen: man lernt, wenn man an vorhandenes Wissen andocken kann und je größer das vorhandene Wissen ist, desto leichter ist es, neues Wissen hinzuzufügen und das dann ins Handeln zu übertragen. Das Wissen macht etwas mit uns – Beispiel Konsum. Für jeden Bundesbürger arbeiten durchschnittlich 50 Sklaven, um unseren Wohlstand zu halten …

… Sie meinen die Studie der Uni Regensburg …

Ja. Wenn ich das Menschen erzähle, dann reagieren sie mit Entsetzen, Widerwille, Ratlosigkeit oder auch Trotz. Niemand will das, logischerweise, das ist ganz menschlich, dass wir das nicht gut finden. Und wenn ich also weiß, dass ich ein Teil davon bin, dann kann ich mich beim nächsten Einkauf fragen, muss das wirklich sein? Das meine ich mit Aufklärung oder Nudging, immer wieder darauf Anstupsen. Dabei spielen die Medien auch eine wichtige Rolle, dass wir so etwas häufiger hören oder lesen.

Hören oder lesen: Ihr Lieblingszitat stammt vom Berner Schriftsteller und Pfarrer Kurt Marti. „Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge.“ Was bedeuten Ihnen diese Zeilen?

Das baut auf das auf, was wir gerade gesagt haben. Was heißt das für mich, wenn ich mir Wissen zu so einem Thema aneigne und dann nichts damit mache? Das ist erstens nicht unsere Natur und zweitens funktioniert so unsere heutige Welt nicht, Stichwort lebenslanges Lernen oder Informationsflut. Dieses Zitat fragt, wo kämen wir hin, wenn wir alle stehenblieben und mit dem Wissen nichts machen würden. Deshalb braucht es viele Menschen, die Mut haben, den nächsten Schritt zu gehen, um zu sehen, wohin man käme, wenn man weiterginge mit diesem Wissen.

Können Sie das konkretisieren?

Als Privatmenschen können wir mehr Bio-Lebensmittel einkaufen oder den Unverpackt-Laden ausprobieren, und als Unternehmen kann man sich fragen, ob wir unser Geschäftsmodell so betreiben müssen, wie wir es tun. Man muss sich fragen, was Nachhaltigkeit für mich als Unternehmen bedeutet. Der Outdoor-Bekleidungshersteller VAUDE hat sich gefragt, ob er den Konsum weiter vorantreiben soll oder zum Beispiel Zelte verleihen könnte. 99 Prozent seiner Lebenszeit liegt ein Zelt im Keller, da ist es sinnvoll, weniger davon zu produzieren und sie zu leihen, wenn man es tatsächlich nutzt. Das sind Fragen, zu denen wir kommen müssen. Darum ist Zitat so wichtig, um nicht stehenzubleiben und diesen Schritt weiterzugehen.

Was raten Sie KMU hinsichtlich nachhaltiger Entwicklung?

Das Anfangen ist das Wichtigste. Und sich fragen – ich bin ein Freund von Fragen – was ist meine meine Haltung als Unternehmen dazu? Will ich nur Regulatorik erfüllen oder habe ich Verantwortungsgefühl und möchte Gutes für Zukunft tun? Idealerweise mache ich eine Wesentlichkeitsanalyse darüber, was andere von mir erwarten.

Eine Wesentlichkeitsanalyse ist Teil eines Nachhaltigkeitsberichts. Wie denken Sie über die kommende externe Prüfpflicht für Nachhaltigkeitsberichte?

Regulatorik ist ein großer Motivator und deshalb glaube ich, dass sie wichtig ist, weil sie viele Unternehmen dazu verpflichten wird, sich mehr mit dem Thema zu beschäftigen – und das führt unweigerlich dazu, immer mehr tun zu müssen. Es führt auch zu einem Wettbewerb unter den Unternehmen, wer sich besser damit beschäftigt und könnte sonst zu einem Wettbewerbsnachteil werden. Es ist wichtig, JETZT damit anzufangen, das haben viele Unternehmen noch nicht verstanden, denn sie müssen das Knowhow ja erst noch aufbauen, es „demnächst“ zu tun, könnte zu spät sein.

Wie können sich Mitarbeiter in Unternehmen einbringen?

Mitarbeitende können viele Impulse geben, indem sie Dinge hinterfragen: Haben wir schon Ökostrom, wenn ja welchen? Sollten wir das Gebäude vielleicht sanieren? Auch Energiebelange wie Fassadenbegrünung oder was ist mit Ladesäulen für E-Bikes und E-Autos? Und die wichtigste Frage ist dabei, was hat meine konkrete Tätigkeit mit Nachhaltigkeit zu tun? Beispiel Digitalisierung und Datensparsamkeit. 80 Prozent digitaler Daten werden nach erstmaliger Speicherung nicht mehr verwendet. Dabei entstehen überall Emissionen, die letztlich unnötig sind.

Kommen wir nochmal zur Unternehmensführung: Welche ist die wirksamste Kommunikationsstrategie hinsichtlich Nachhaltigkeit?

Die wirksamste ist auf jeden Fall die, die besonders ehrlich ist. In der ich besonders transparent bin, auch über die Dinge, die ich noch nicht so gut mache, aber ich habe es erkannt und folgende Maßnahmen dafür beschlossen, um mit folgenden Nachhaltigkeitszielen daran zu arbeiten. Diese Kommunikationsstrategie wird besonders honoriert, weil sie nicht nur Erfolge feiert, sondern auch herleitet, warum ich tue, was ich gerade tue. Die substanziellen Dinge sind wichtig. Und dann wird es auch glaubwürdig. Aber das braucht auch etwas Mut, das gebe ich zu.

Sie begleiten Firmen „auf dem Weg zu einem besseren Unternehmen.“ Das klingt idealistisch. Wie viel Idealismus haben Sie schon eingebüßt?

Idealismus noch keinen, weil ich daran glaube, dass das erreichbar ist! Das einzige, das ich vielleicht eingebüßt habe, ist die realistische Erwartung, wie schnell die Transformation zum nachhaltigen Handeln gehen würde. Sie wird länger dauern, als ich es mir wünsche und als es für die Menschheit gut wäre, aber das Ergebnis wird auf jeden Fall kommen. Nachhaltigkeit wird irgendwann so normal sein wie ein Smartphone!

Sie haben früher im Bereich Digitalisierung bei AXA, BP und REWE gearbeitet und sind dann zum Blogger und Befürworter von Nachhaltigkeitszielen geworden: Was verbindet die Gegensätze?

Strategie. Kultur. Und Kommunikation. Strategie bedeutet, was machen wir, was ist wesentlich und welche ist die richtige Reihenfolge, wo habe ich den größten Hebel, wenn ich meine Produkte und Geschäftsmodelle anschaue. Kultur heißt, wen betrifft das, wie nehme ich die Menschen mit, denn Nachhaltigkeit findet nicht durch Nachhaltigkeitsmanager statt, sondern im alltäglichen Handeln aller Mitarbeitenden und aller Menschen. Es hilft nichts, wenn der Nachhaltigkeitsmanager eine schöne Strategie hat, aber keiner sie umsetzt. Da müssen wir hin, dass es selbstverständlich, dass Nachhaltigkeit mitgedacht wird. Kommunikation meint, wie rede ich über dieses Thema, wie nehme ich die Menschen mit, wie begeistere ich sie dafür, sich einzubringen und mitzudenken. Intern wie extern gilt: Tue Gutes und rede darüber – das gibt Inspiration, was jeder tun kann. Da sind wir wieder bei SDGs und Ziel Nummer 17. Wenn ich alleine nachhaltig bin, aber die Erde vor die Hunde geht, ist niemandem geholfen.

Zum Schluss: Vor knapp einem Monat war der Tag der Biodiversität. Reicht so ein Tag noch aus, um auf das Thema und seine Dringlichkeit aufmerksam zu machen?

Das ist für mich Fluch und Segen zugleich. Jemand aus meinem Netzwerk hat beim Tag der Erde mal gesagt, dass er sich wünscht, dass jeder Tag Tag der Erde wäre. Was hilft ein Tag Biodiversität, aber 364 Tage macht jeder weiter wie bisher? Andererseits ist es wichtig, darauf hinzuweisen und es kann letztlich wertvoll sein, aber ein Tag ist völlig unzureichend. Denn jeder Tag ist Tag der Biodiversität, Tag des Klimas und Tag der Erde. In der Tagesschau müsste wie über den Sport auch über Nachhaltigkeit berichtet werden. Nachhaltigkeit ist als Verzicht geframt, dabei ist es eine echte Chance und etwas wirklich Bereicherndes. Das muss in die Köpfe.

 

Die SQS Deutschland GmbH prüft (verifiziert) Nachhaltigkeitsberichte gemäß SDGs, den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen.