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„Über 90 Prozent des CO2 kommt aus der Lieferkette.“

Exklusiv-Interview mit Axel Bachmann

Im Gespräch verrät Coca-Colas Nachhaltigkeitsleiter Axel Bachmann den Königsweg zwischen Glas und Plastik, zwischen Mehrwegsystem und Recycling sowie den Schwächen bei Konsument und Lieferkette.

Herr Bachmann, können Sie Nachhaltigkeit mit wenigen Worten beschreiben?

Das ist für mich die Notwendigkeit und die Möglichkeit, sich mit den langfristigen Herausforderungen des eigenen Geschäfts zu befassen.

Eine solche Herausforderung ist der Klimawandel. Das Pariser Abkommen nimmt Unternehmen in die Pflicht, bis 2050 klimaneutral zu sein. Ihr Unternehmen hat sich verpflichtet, es bis 2040 zu schaffen. Reichen Ökostrom, verantwortliche Kühlung und Lieferketten-Logistik aus?

Nein. Das reicht nicht aus, weil die größte Herausforderung das Scope-3 zu Treibhausgasemissionen ist. Dass wir Ökostrom oder energieeffiziente Kühlschränke einsetzen oder auf Schienentransport für Langstrecken-transporte setzen, ist gut und wichtig, aber über 90 Prozent des CO2-Fußabdrucks kommen aus anderen Stufen der Lieferkette. Deshalb ist es wichtig, die Lieferanten ins Boot zu holen und mit in die Pflicht zu nehmen. Wir haben unsere Lieferanten um Ökostrom und um SBTi-Ziele gebeten, und darum, uns gegenüber Transparenz dazu herzustellen. Die meisten Kollegen, mit denen ich darüber spreche, sagen, dass es bei ihnen genauso ist, also 90 Prozent aus den Vor- und Nachstufen kommen. Die Diskussion darüber wird an Intensität noch zunehmen. Denn wenn sich Menschen mit Nachhaltigkeit im eigenen Geschäft beschäftigt haben, dann folgt im nächsten Schritt, den Scope 3 in den Mittelpunkt zu rücken. 

Axel Bachmann

Wenn man sich jetzt nicht mit Antworten zu Nachhaltigkeitsfragen beschäftigt, wird man am Ende keine haben, wenn man sie benötigt.

Axel Bachmann

Schwarz-weiß betrachtet gäbe es viele andere Themen in Ihrer Branche: von Plastikmüll, über Material- zu Wasserverbrauch. Alles aus Glas wäre jedoch ebenso wenig nachhaltig. Wo liegt der Königsweg?

Der Königsweg liegt aus meiner Sicht darin, sich fundierte Ziele zu setzen. Beim Thema Klima, Wasser, Verpackung, Zucker, … die spielen alle mit herein. Da ist alles, was man zum Beispiel mit der Science Based Target initiative SBTi abstimmt und sich bestätigen lässt, sehr viel seriöser. Übrigens: Wenn uns jemand sagt, wir vermüllen die Meere mit Plastik, dann habe ich zwei Lieblingsargumente. Wir sagen A nicht, dass man die Flaschen nach dem Trinken ins Meer werfen soll – das macht immer noch der Konsument. Und B, wenn wir alles in Glasflaschen abfüllen würden – und wir haben sehr viel Volumen –, dann wären die Weltmeere möglicherweise voller Glas. Es gäbe auch kaum noch Sandstrände, weil für die Produktion von Glas sehr viel Sand gebraucht wird. 

Sie haben ein Start-up damit betraut, aus alten PET-Verpackungen lebensmittel­taugliche Rezyklate für Flaschen herzustellen. 2019 gab es eine Musterflasche, die zu 25 % aus Plastikmüll aus dem Meer bestand…

Wir glauben an die Notwendigkeit des chemischen Recyclings, weil wir allein mit mechanischem Recycling keinen Materialkreislauf herstellen können. Wir arbeiten auch daran, PET-Alternativen aus pflanzlichen Rohstoffen herzustellen. Man kann noch nicht garantieren, dass es am Ende zum gewünschten Ergebnis führt, aber wenn man sich jetzt nicht damit beschäftigt, wird man am Ende keine Antwort haben, wenn man eine benötigt.

Ein Werk in Deutschland befüllt ca. 60.000 Flaschen/h – das verbraucht viel Energie und Material. 2017 rief CCEP DE das Nachhaltigkeits-Konzept „Handeln. Verändern.“ ins Leben. Können Sie ein Beispiel für eine Maßnahme geben?

Zum Beispiel die Zuckerreduktion in unseren Getränken. Seit 2015 haben wir den Zuckeranteil um 12 Prozent reduziert – das spielt nicht nur eine Rolle für die Gesundheit, sondern auch für die CO2-Reduktion, weil die Inhaltstoffe den größten Anteil an unserem CO2-Fußabdruck ausmachen. Andere Themen sind Verpackung, Mehrweg, mehr Recyclingmaterial, die Verlagerung von Langstrecken-Transporten auf die Bahn… das haben wir zum Teil schon umgesetzt. Auch alle Firmenfahrzeuge werden über die nächsten Jahre zu E-Autos, auch  ist Biodiversität ein wichtiges Thema für uns, zum Beispiel über Renaturierungsprojekte.

Nehmen wir Verpackung: Seit Ihrem Zusammenschluss mit Coca-Cola AMaTIL ist auch Indonesien im Länder-Portfolio. Passt CCEP DE die Nachhaltigkeitsstrategie daran an?

Ja, das muss sie ja. Die Notwendigkeit dazu liegt auf der Hand, wenn Sie sich das Thema Verpackung ansehen, da besteht ein Riesenunterschied zwischen dem deutschen und dem indonesischen Markt. Das muss man sich erst mal seriös anschauen. Die angepasste Nachhaltigkeitsstrategie wird im Laufe des Jahres abgeschlossen sein, sodass Ziele und Maßnahmen harmonisiert sind und wir dazu kommunizieren können. Aber ich kann so viel verraten, dass die großen Ziele wie Net Zero bleiben.

Ihr Unternehmen versprach im vergangenen Jahrzehnt, bis 2020 so viele Wasserprojekte verfügbar zu machen, wie Sie global für die Produktion benötigen. Wie ist der aktuelle Stand?

Aktuell sind wir weltweit bei 170 Prozent. 2015 waren 100 Prozent erreicht, und seitdem haben wir das weiter ausgebaut. Und das natürlich in erster Linie in den Gebieten, in denen Wasserknappheit besteht, dort mehr als in denen, wo keine besteht.

Wir Menschen wissen, was getan werden muss, aber wir handeln nicht danach.

Axel Bachmann

A propos guter Weg: Sie beziehen Aromen von der Symrise AG, die besonders viele Prämierungen für Nachhaltigkeit gewonnen hat. Inspiriert Sie das in gewisser Weise?

Die Coca-Cola Company bezieht die Aromen von der Symrise AG und wir beziehen von der Coca-Cola Company das Konzentrat. Die Symrise AG ist daher ein indirekter Kunde von uns, mit dem wir tatsächlich einen intensiven Austausch zu Nachhaltigkeitsthemen haben. Wir glauben, dass wir uns gegenseitig viel Inspiration und Motivation dafür geben können, beispielsweise wie jetzt zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

Die Pandemie zeigte, wie instabil globale Lieferketten sein können. Was tun Sie, um sie robuster zu machen?

Wir haben durch den Ukraine-Krieg noch mehr als durch die Pandemie gesehen, wie labil oder instabil die Lieferketten sind. Und man kann sie robuster machen, indem man sich von globalen Lieferketten unabhängiger macht. Denken Sie an das Thema Energie, über das gerade überall gesprochen wird. Das spielt eine große Rolle. Bei Nachhaltigkeit entlang der Lieferkette geht es sehr stark um das Thema Menschenrechte. Wir arbeiten in diesem Bereich mit EcoVadis zusammen, die uns mit Platin ausgezeichnet haben, weil wir unter den Top 1 Prozent der untersuchten Unternehmen sind. Aber keiner kann sagen, dass er eine komplett sichere Lieferkette habe, denn man wird sich immer verbessern können. 

Inwiefern kann da eine externe Lieferantenbegutachtung helfen?

Sie brauchen eine seriöse objektive Begutachtung der Lieferanten durch Dritte, weil sonst der Vorwurf des Greenwashings im Raum steht. Das heißt, auch Lieferketten müssen – wie bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung – durch externe Dritte verifiziert werden. Und da Sie bei Lieferketten nicht permanent selbst vor Ort überprüfen können, ist es begleitend mit externen Gutachern wesentlich einfacher und zielführender.

„Es gibt keine nachhaltigen Produkte, sondern nur nachhaltigere.“ Was meinen Sie damit?

Das ist ein Lieblingszitat von mir, weil Nachhaltigkeit oft als Weg mit einem Start- und Endpunkt definiert wird. Aber es liegt in der Natur der Nachhaltigkeit, dass es eben eine Reise ist, die nie aufhört. Nachhaltigkeit ist ein Innovationstreiber, weil man gezwungen ist, immer besser zu werden. Und wir sind noch lange nicht am Endpunkt angekommen, was Verbesserung und Optimierung angeht.

2023 kommt die Pflicht zum Mehrweg-System in der Gastronomie. Generell: Wie kann die Optimierung von Material, Mehrwegsystem und Recycling gelingen? Im Bereich Bier tut es das bereits…

Unser Mehrweganteil liegt aktuell bei rund 35 Prozent. Das Verpackungsgesetz sieht 70 Prozent vor, das wird eine interessante Entwicklung und es werden noch mehr regulatorische Eingriffe seitens der Politik kommen. Aber Politik und unternehmerisches Handeln kann nur mit Einbindung des Endverbrauchers gelingen. Denn der muss mitspielen, weil man ihm nicht vorschreiben kann, was er zu tun hat, das macht er am Ende immer noch selbst. 

Wie sehen Sie die Zukunft von Nachhaltigkeit in Deutschland?

(seufzt). Ich glaube, dass wir in Deutschland irgendwann an einem Punkt sind, an dem Handeln noch dringlicher wird. Im Moment leben wir als Gesamtgesellschaft in kognitiver Dissonanz, wir wissen, was getan werden muss, aber handeln noch nicht genug danach. Das ist eine Binsenweisheit, aber es ist so.

 

Axel Bachmann ist Geschäftsleiter Nachhaltigkeit beim größten deutschen Getränkeunternehmen Coca-Cola Europacific Partners (CCEP DE) und als solcher ein Experte für nachhaltige Wertschöpfungs- und Lieferketten. Seit 26 Jahren ist Bachmann im deutschen Coca-Cola Geschäft tätig, elf davon im Bereich Nachhaltigkeit. Hätte man den erfrischenden Gesprächspartner zu Beginn seiner Karriere gefragt, was das beherrschende Thema unserer Zeit wird, hätte er Nachhaltigkeit nicht genannt. 

 

Die SQS Deutschland GmbH erstellt Lieferkettenbegutachtungen.