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„Die EU-Taxonomie lenkt Geld in Richtung Nachhaltigkeit.“

Exklusiv-Interview mit Rüdiger Senft

Im Gespräch mit SQS Deutschland erklärt Unternehmensberater Rüdiger Senft die EU-Taxonomie-Verordnung und die Bedeutung des Finanzsektors für die Nachhaltigkeit.

Herr Senft, welche Rolle spielt der Finanzsektor für eine nachhaltig ausgerichtete Wirtschaft?

Der Finanzsektor spielt eine ganz entscheidende Rolle, und zwar als verlässlicher Partner der Realwirtschaft bei dessen Transformation. Konkret gesagt, der Finanzsektor stellt das Kapital zur Verfügung, das die Realwirtschaft benötigt, um sich erfolgreich für die Zukunft zu rüsten.

Können Sie das näher erläutern?

Im Pariser Klimaabkommen steht nicht nur, dass die globale Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad begrenzt werden, sondern auch, dass der Finanzsektor eine zentrale Rolle spielen soll. Ein ganzes Gesetzesbündel der EU übersetzt diese Anforderungen auf die Banken und damit auch mittelbar auf deren Kunden. Ein Beispiel: Banken sollen Kapitalströme in Richtung Nachhaltigkeit lenken. Hierzu bedarf es jedoch erst einmal einer Definition dessen, was überhaupt als nachhaltig anzusehen ist. Ich spreche von der sogenannten EU-Taxonomie, die zuletzt ja auch kontrovers diskutiert wurde. Des weiteren müssen Banken berechnen, ob nachhaltige Kredite tatsächlich auch ein geringeres Ausfallrisiko darstellen und falls ja, in welcher Höhe. Schließlich müssen Firmenkunden transparenter werden, damit Banken solche Berechnungen überhaupt anstellen können. Kurz gesagt: Die Lenkung von Kapital in Richtung Nachhaltigkeit geht einher mit der Analyse von Nachhaltigkeitsrisiken auf Basis von Unternehmensinformationen.

Rüdiger Senft

Der größte Hebel liegt im Kerngeschäft.

Rüdiger Senft

Stichwort EU-Taxonomie und weitere Regulierungen: Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden müssen künftig detailliert über Nachhaltigkeit berichten…

Genau, damit Banken und andere Finanzmarktteilnehmer mehr Transparenz über die Nachhaltigkeit eines Unternehmens haben, werden künftig Unternehmen einer bestimmten Größe, also zum Beispiel mit über 500 Mitarbeitern, dazu verpflichtet, Nachhaltigkeitsinformationen zu veröffentlichen. Während heute lediglich große, kapitalmarktorientierte Unternehmen verpflichtet sind, diese Informationen zu liefern, trifft dies in naher Zukunft auch auf große Teile des Mittelstands zu.

Das klingt jetzt erst einmal nach zusätzlichem Aufwand für Unternehmen. Gibt es denn auch positive Aspekte?

Tatsächlich kann diese Berichtpflicht für Unternehmen, die sich bislang noch nicht sehr intensiv mit Nachhaltigkeit befasst haben, zunächst mit einem höheren Aufwand verbunden sein. Aber der Impuls, den die Berichtspflicht setzt, kann mittelständischen Unternehmen auch dabei helfen, sich zukunftsfähig aufzustellen.

Können Sie das anhand eines Beispiels verdeutlichen?

Sehr gerne. Bleiben wir beim Thema Klimawandel. Stellen wir uns vor, ein Unternehmen entscheidet, mit einer eigenen Klimastrategie auch selbst einen Beitrag zur Erreichung der Pariser Klimaziele leisten zu wollen. Weniger Treibhausgas-Ausstoß hängt zum Beispiel mit Energieeinsparungen zusammen, die im Zeitverlauf Kosten sparen und das Unternehmen unabhängiger von schwankenden Energiepreisen macht. Dies stärkt wiederum die Wettbewerbsfähigkeit. Auch einer möglichen CO2-Steuer kann ein solches Unternehmen gelassener entgegenblicken als sein Wettbewerber. Es geht noch weiter: Als Teil der Lieferkette von großen Konzernen kann das Unternehmen sich auch hier als besonders klimaschonend von konkurrierenden Lieferanten abheben. Ein weiterer Wettbewerbsvorteil, denn Konzerne wollen möglichst wenige Emissionen über ihre Lieferkette in ihre Endprodukte einfließen lassen und entscheiden zunehmend auch anhand der CO2-Emissionen. Schließlich honorieren auch Banken eine solch vorausschauende Unternehmenspolitik mit einem besseren Kreditrating.

Als Sie bei der Commerzbank waren, haben Sie es geschafft, CO2-Ziele früher als geplant zu erreichen. Wenn Sie Kunden bei Dekarbonisie-rungs-Strategien begleiten: Wo fangen Sie an, damit sie gelingt?

Eine wichtige Voraussetzung für eine solche Strategie ist das Commitment von ganz oben. Die Unternehmensleitung, sei es Vorstand oder Geschäftsführung, muss sich wirklich ernsthaft mit dem Thema Klima auseinandersetzen wollen. Denn zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels müssen auch auf Unternehmensebene ambitionierte Ziele gesetzt werden. In der Regel sind dies Aussagen darüber, bis zu welchem Jahr man emissionsneutral wirtschaften möchte. Die Bundesregierung strebt dies für Deutschland beispielsweise für das Jahr 2045 an. Ein langer Zeitraum für den weitere Zwischenziele definiert werden sollten. Dann beginnt man schon direkt mit der Nullmessung. Wo steht das Unternehmen im Augenblick? Hierfür werden alle Treibhausgasquellen im Unternehmen identifiziert und in eine Klimabilanz überführt. Auch die Energie, die von Kraftwerken bezogen wird, sowie idealerweise auch die Lieferkette werden Teil der Klimabilanz. Mit diesen Angaben kann man die großen CO2-Emittenten identifizieren und sich Maßnahmen überlegen, seine Emissionen über die nächsten Jahre auf Netto-Null zu reduzieren. Wichtig ist, darüber auch transparent zu berichten. Nur so kann ein Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit glaubwürdig sein.

Nachhaltigkeit ist kein Thema, das schnell abgehakt werden kann, sondern an dem jahrelang gearbeitet werden muss.

Rüdiger Senft

Sie haben Industriekaufmann gelernt und waren sehr erfolgreich bei einer Bank für Mittelständler tätig, heute sind Sie selbstständig: Was raten Sie kleinen und mittleren Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit?

Ich rate immer, sich frühzeitig mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen und zu überlegen, welche Rolle das Thema bei mir im Unternehmen, bei meinen Kunden, Mitarbeitern und Zulieferern spielt. Klimawandel ist in aller Munde, betrifft ein Unternehmen aber auch ganz konkret, wenn aufgrund von Niedrigwasser im Rhein die Schifffahrt stillsteht und wichtige Teile nicht geliefert werden. Auf solche Ereignisse gilt es sich vorzubereiten. Was erwarten meine Kunden von mir? Treffen meine Produkte die sich ändernden Erwartungen der jungen Generation? Bin ich ein attraktiver Arbeitgeber, dem es gelingt, ausreichend gut qualifiziertes Personal zu gewinnen, dem Nachhaltigkeit heute wichtiger ist als früher. Sie sehen, das Thema ist vielschichtig – und nicht nur auf Klima beschränkt.

Was empfehlen Sie noch?

Gleichzeitig rate ich Mittelständlern auch, sich nicht treiben zu lassen, sondern systematisch zu analysieren, welche Chancen und welche Risiken das Thema für mein Unternehmen beinhaltet. Was sind die regulatorischen Anforderungen, die für mein Unternehmen wirklich relevant sind? Wo habe ich Stärken, durch die ich mich leicht vom Wettbewerb abheben kann? Wenn ein Unternehmen hierauf Antworten hat, kann es die Komplexität des Themas schnell reduzieren, Ziele setzen und systematisch an das Abarbeiten von Maßnahmen zur Zielerreichung gehen. Nachhaltigkeit ist kein Thema, dass schnell abgehakt werden kann, sondern an dem jahrelang gearbeitet werden muss.

Auf welche Hürden stoßen Sie bei Ihren Kunden?

Es wird oft gesagt, Nachhaltigkeit verursache nur Aufwand und Kosten. Und das ist auch nicht von der Hand zu weisen. Dennoch stecken im ernsthaften Auseinandersetzen mit dem Thema riesige Chancen, etwa wenn durch Kreislaufwirtschaft Prozesse noch effizienter und kostengünstiger gestaltet werden können, wenn die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter optimiert werden können, wenn die Artenvielfalt effektiv geschützt werden kann. Gerade hierdurch stellt sich ein Unternehmen zukunftsfest auf und legt die Basis für künftigen Erfolg.  Dafür gilt es bei Unternehmenslenkern zu werben. Regulatorische Vorgaben sind dafür sicher hilfreich, aber wie Sie sehen, steckt viel mehr in Nachhaltigkeit.

Sie waren ein halbes Jahr bei den Vereinten Nationen in Genf und haben daran mitgearbeitet, die UN-Prinzipien für Responsible Banking umzusetzen. Was bedeutet Responsible Banking?

Reponsible Banking bedeutet wörtlich übersetzt Verantwortungsvolles Bankwesen. Die insgesamt sechs Prinzipien stellen ein kompaktes und für Banken sehr gut anwendbares Rahmenwerk dar, um entsprechend verantwortungsvoll zu handeln. Bereits 270 Banken haben die Prinzipien unterzeichnet. Sie repräsentieren rund 45 Prozent der weltweiten Bank-Aktiva. Es handelt sich also um eine echte Erfolgsstory.

Was ist das Interessante daran?

Interessant ist, dass von den Banken explizit eingefordert wird, die Möglichkeiten in ihrem Kerngeschäft zu identifizieren, die die größte Wirkung entfalten – im Positiven, wie im Negativen. Über die genaue Analyse des Kreditbuches beziehungsweise Investmentportfolios soll positive Wirkung ausgebaut und negative Wirkung vermindert werden. So sollen die Ziele der UN-Nachhaltigkeitsagenda und des Pariser Klimavertrags unterstützt werden. Das Setzen ambitionierter, wissenschaftsbasierter Ziele ist ein weiterer wichtiger Punkt sowie maximale Transparenz hinsichtlich der Umsetzung der Prinzipien.  Diese Grundsätze sind nicht nur etwas für Großbanken. Im Gegenteil, gerade für kleinere Banken sind sie oft sogar einfacher umzusetzen.

 

Rüdiger Senft ist bereits seit über fünfzehn Jahren im Bereich Nachhaltigkeit aktiv und die EU-Taxonomie ist kein Fremdwort für ihn. Der Finanzexperte war als Leiter Nachhaltigkeit bei der Commerzbank und als Banking Expert bei der UNO tätig. Heute unterstützt der selbstständige Berater Unternehmen und Finanzdienstleister dabei, nachhaltiger zu wirtschaften und insbesondere ihre Chancen zu nutzen. 

 

Die SQS Deutschland GmbH unterstützt ihre Kund:innen bei der EU-Taxonomie und zeichnet Banken mit dem „Sustainable Bank”-Award aus.