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„Hochwasser kann euch jederzeit passieren.”

Josef Muetters Buchhandlung vorher und nachher

„Hochwasser kann euch jederzeit passieren.“

Im Juli 2021 ist Josef Mütter mit seiner Buchhandlung vom extremen Hochwasser im Erfttal betroffen. Starkregen löst eine Flut-Katastrophe aus, die Erft in Bad Münstereifel steigt innerhalb von drei Stunden auf historische Höhe und verwüstet den mittelalterlichen Stadtkern. Die Wasserstände an allen Pegeln im oberen Erfteinzugsgebiet liegen über den Szenarien der Hochwassergefahrenkarten für ein HQ100 und HQextrem. HQ100 bedeutet, ein Hochwasser dieses Ausmaßes ist statistisch einmal in hundert Jahren zu erwarten, ein HQextrem noch seltener. Am selben Tag ereignet sich auch die schwere Naturkatastrophe im Ahrtal 40 km weiter östlich.

 

Wir stehen in der Baustelle der ehemaligen Buchhandlung. Zu sagen, es ist staubig, wäre eine Untertreibung, obwohl mehrere Schutthaufen auf dem rohen Boden zusammengekehrt sind. Durch eine Plane, die vor einem Treppenschacht hängt, zieht der Wind. Bauarbeiter haben mit Fichtenholzbrettern auf Holzböcken ein Gerüst improvisiert. Draußen regnet es, Tropfen klopfen leise an die posterverhängten Fensterscheiben.

 

Ein sehr persönliches Gespräch über die Flut-Erfahrung, den Umgang damit, heutige Herausforderungen, was die Hochwasserkatastrophe mit einem Sprichwort gemeinsam hat und auch was sie an Gutem bewirkte.

Herr Mütter, was geht in Ihnen vor, wenn Sie an den 14. Juli 2021 denken?

Einmal natürlich denke ich ganz konkret an diesen Tag, wie das Wasser hier hereingelaufen ist, das Unvorstellbare. Aber mir ist seither auch ganz bewusst, dass das jederzeit passieren kann, ob hier oder irgendwo anders auf der Welt.

Josef Muetter
Josef Mütter

Zum Beispiel in Bayern oder Österreich, wo die Überschwemmungen nicht aufhören wollten…

[seufzt] Wir bekommen ja immer wieder Nachrichten von Naturkatastrophen mitgeteilt und selbst, wenn das ein Nachbarland ist, ist es weit weg. Das kann ich jetzt anders erleben. Ich bekomme jede Menge Mitgefühl, weil ich weiß, wie es ist. Ich will keine Angst verbreiten, das ist absolut nicht angebracht, aber dieses „Das kann mir nicht passieren“, Leute, das kann auch euch jederzeit passieren!

Wie haben sich bei Ihnen damals die Gedanken und Gefühle verändert, als das Wasser stieg?

Zuerst realisiert man das nicht wirklich. Da steht das Wasser auf einmal da und das Hauptgefühl ist ein ungläubiges Staunen, „Das kann doch nicht wahr sein, was mache ich jetzt?“ Dann erlebt man eine starke Unruhe, gerät in Aktionismus und versucht, etwas zu tun. Du kannst aber nichts machen. Du hörst Geräusche, etwas bricht zusammen oder dort knallt etwas gegen eine Wand… Ich habe dann ungefähr eine Viertelstunde Angst gehabt und gedacht, „Wenn das Haus nicht hält, dann bist Du weg.“ Da kannst Du nur abgeben, an was auch immer, und darauf vertrauen, dass es zu irgendwas gut ist.

In Ihrem YouTube-Video sagen Sie, Sie haben versucht, zur Ruhe zu kommen. Ging das denn?

Ich habe davor schon in meinem Leben gelernt, wenn außen das Chaos tobt, dann nach innen zu schauen, in mich hineinzufühlen und ein Gefühl von Ruhe zu finden, dass es irgendwie okay ist. Blöd gesagt, hat das etwas Entspannendes, auch in dieser Extremsituation.

Sie haben die Nacht im ersten Stock verbracht…

Ja, dort sind unter anderem Sozialräume gewesen. Irgendwann bin ich nachts im Dunkeln runter und habe im Wasser gestanden. Das war so etwa 1,40 Meter hoch und ging mir bis zur Brust. Da war schon extrem. Das dreckige Wasser überall und da schwammen die Bücher und Gegenstände rum… Da war das Gefühl, „Okay, das war es jetzt mit dem Laden, du kannst jetzt nur noch loslassen.”

Man ist geschockt und kann es einfach nicht glauben.

Josef Mütter

Und wie war das, als das Wasser endlich ablief und der Schaden sichtbar wurde?

Man ist geschockt und glaubt es einfach nicht. Ich bin im Dunkeln frühmorgens hier raus, da war alles verwüstet, aber ich habe das nicht wahrgenommen. Ich bin nach Hause, ich wohne oben am Berg. Dort habe ich gemerkt, die Dusche geht nicht, der Strom ist weg, ich kann keinen Espresso machen. Irgendwann bin ich wieder runter und dann habe ich wirklich erst die Dimension gesehen, das war hier in der Stadtmitte wie ein Bombeneinschlag. Da war ein Gefühl von, „Jetzt hat es uns auch erwischt.“

Und mit Ihrer Buchhandlung?

Das kam stückchenweise an den Tagen danach. Das Realisieren, die Bücher sind wirklich alle futsch. Die Regale müssen weg. Der Boden… Was mich durch die Zeit getragen hat, war das Schöne. Dass andere Menschen sofort bedingungslos da waren. Das war total schön, es gab so viele Leute aller Altersstufen, aller Hautfarben, die geholfen haben. Wildfremde, die gefragt haben, „Was kann ich tun?“ oder die gespendet haben. Da sind mir immer wieder die Tränen gekommen.

In Ihren Videos zeigten Sie den Schlamm auf dem Fußboden und sagen: „Schlammpackungen!, neues Angebot bei Mütters.“ Auf Instagram posteten Sie ein Foto der kahlen Baustelle mit einer Plüsch-Bärin auf einer Schaukel und schreiben: „Wenn das Leben Dir die Deckenbalken freilegt, häng eine Schaukel dran.“ Woher nehmen Sie Ihren Humor?

Den Humor habe ich schon immer gehabt, davon haben Rheinländer grundsätzlich eine Menge. Ich kann entweder in der Baustelle stehen und darüber verzweifeln, oder ich kann mich darüber freuen, dass ich überhaupt hier stehe. Ich kann mir den Humor leisten, weil ich eine große Dankbarkeit empfinde. Ich habe ja noch Glück gehabt, ich bin nicht weggespült worden und habe viel Hilfe erfahren. Es ist schon so, dass es gerade nach der langen Zeit eine Herausforderung ist. Aber ich vertraue ins Leben, dass das alles einen Sinn hat.


Was hat es mit der kleinen Bärin auf sich?

Wir haben solche Bären von einem Verlag im Laden gehabt und eine liebe Kollegin von mir hat die schmutzige Bärin aus dem Schlamm gezogen und mit nach Hause genommen. Irgendwann hat sie mir davon erzählt und dann haben wir verschieden Reels mit der Bärin gemacht, weil das für mich ein Symbol ist, sie hat die Flut miterlebt und auch überlebt. Sie wird auch nicht gewaschen, der getrocknete Schlamm bröckelt jetzt langsam ab. Das angesprochene Reel mit ihr entstand ganz spontan und ohne Plan, weil ich fand, das wäre super, wenn sie in Bewegung wäre.

Mütters kleine Bärin auf Schaukel und Sofa
Mütters kleine Bärin, Symbol fürs (Über)Leben.

Der Schaukelsitz der kleinen Bärin ist ein Buch, kein Brett. Nach dem verheerenden Sturm Ela, 2014 in Nordrhein-Westfalen, hatte eine Gruppe von Design-Studierenden aus 35 umgestürzten Bäumen 15.000 „Sturmbrettchen“ zur Erinnerung an den Park gemacht. Wie finden Sie das?

Das finde ich geil. Ich muss gestehen, ich kenne das und habe allen Ernstes auch so eine Idee. Ich habe ein paar Regalbretter aus dem Laden gerettet und in kleine Stücke geschnitten, auf die ich etwas drucken und den Menschen, die etwas von der Flut mitnehmen wollen, mitgeben möchte. Das ist einfach super, weil es etwas Berührbares hat und daran erinnert. Das Erinnern ist für mich ein Kernpunkt, erinnern ist wichtig.

Was ist Ihnen persönlich daran wichtig?

Die Flut war trotz allem ein Moment, den ich nicht missen will. Wann, wenn nicht in so einem Moment, fängst Du an, dich zu fragen, „Was mache ich hier?“ Wir haben jeden Tag die Chance, uns zu erinnern, warum wir hier sind und was wir in unserem Leben wirklich machen wollen. Und für dieses Erinnern sind solche Umweltkatastrophen auch eine Chance. Wollen wir den genauen Zustand von davor wieder aufbauen oder wollen wir die Chance nutzen und die Richtung ändern? Ich habe heute einen anderen Blick auf die Menschen und aufs Leben.

Wie hat das Erlebte Ihre Sichtweise verändert?

Es ist eine Art von Geschenk, so eine Zeit zu bekommen, in der Du Dir klar werden kannst, will ich so weitermachen oder will ich vielleicht etwas ganz anderes tun? Heute definiere ich mich nicht mehr über den Laden. Ich bin nicht der Laden, sondern ich belebe ihn – und das mache ich supergerne. Ich will nicht mehr in den alten Stress kommen, sondern ich darf und möchte hier sein. Der Austausch mit den Menschen ist mir noch wichtiger geworden. Und ich möchte keine Kunststoffprodukte mehr oder nur wenige anbieten und der Umwelt ein bisschen entgegenkommen.

Zurück zur kleinen Bärin, die in einem anderen Post auf einem roten Samtsofa aus Ihrem Laden sitzt. Angela Merkel soll darauf gesessen haben, stimmt das?

Wo gibt´s denn die Geschichte? [lacht] Angela Merkel war zwei oder drei Wochen nach der Flut mit einem Riesentross vorm Buchladen, aber sie sind nicht reingekommen. Damals war die Merkel-Biographie ganz neu auf dem Markt und ich habe ein schmutziges Exemplar ins Fenster gestellt, mit einer gelben Karte auf der stand „Mama ist die Beste.“ Das fanden aber nicht alle witzig.

   

Ihre Buchhandlung konnte noch nicht wieder öffnen. Das Haus, in dem sich Ihr Laden befindet, gehört zu einem historischen Gebäudekomplex, dessen Sanierung viel Zeit beansprucht. Wie gehen Sie damit um, dass der Öffnungstermin immer wieder verschoben werden muss?

[lacht] Ja! Die Versicherung, der Denkmalschutz… Auf diese Dinge habe ich keinen Einfluss. Aber ich habe einen Einfluss darauf, wie ich damit umgehe. Entweder ich werde hier wahnsinnig oder ich nehme es als Aufgabe an, auch wenn ich nicht verstehe, wo es hingeht oder wozu es gut ist. Ich glaube daran, dass es einen Sinn hat, auch wenn ich ihn im Moment nicht verstehe.

Die Flut war trotz allem ein Moment, den ich nicht missen will.

Josef Mütter

Das eine ist der Mensch, das andere der Unternehmer. Sie hatten mit dem Sachschaden zu kämpfen und immer noch mit Umsatzverlusten. Ihr derzeitiges Geschäftsmodell ist ein Onlineshop – mit erstaunlichen Lieferzeiten: Am Tag nach der Bestellung hat der Kunde normalerweise das Buch…

Ich habe schon seit mindestens 15 Jahren einen Online-Shop. Das fand ich cool, als das anfing. Ich habe damals das Shop-Modell eines Großhändlers auf meiner Internetseite eingebaut. Das ist mein Online-Shop, aber die ganze Logistik dahinter findet woanders statt. Das hatte ich stiefmütterlich betreut, weil ich ja möchte, dass die Menschen in den Laden kommen. Aber nach der Flut war das super, weil das weiterlief und mich die Menschen so erreichen konnten und Bücher bestellen können.

Vor der Flut gab es damals Warnmeldungen, aber die Dramatik hinter den Zahlen erschließt sich nicht immer. „200mm/qm Niederschlag“ kann man weniger erfassen als „Der Fluss wird auf 7 Meter Höhe anschwellen.“ Sind Katastrophen auch Kommunikationsprobleme?

Ja, und zwar nicht nur mit Behörden, sondern es ist auch ein Kommunikationsproblem von jedem einzelnen Menschen. Wir hier haben keinerlei Informationen bekommen, aber ich mache niemandem Vorwürfe, denn wenn jemand gekommen wäre und gesagt hätte, „Das Wasser wird bis hier stehen“ (er deutet mit der Hand an die Wand), dann wäre ich ungläubig gewesen. Aber wenn jetzt jemand käme und sagen würde, es könnte sein, dass… (er spricht den Satz nicht zu Ende) – dann würde ich damit anders umgehen.

Ist das Problem im Grunde ein menschliches: wissen vs. glauben? Sollten wir mehr auf die Wissenschaft hören wie zu Pandemiezeiten?

Das ist ein superspannendes Thema. Ich würde mir wünschen, dass jeder einzelne Mensch ein Gefühl in sich hat, dass er weiß, was er wann machen muss. Wenn das nicht der Fall ist, ist es super, wenn es die Wissenschaft gibt, an der wir uns ausrichten können. Aber Wahrheit ist immer nur das Kind ihrer Zeit. Wie wir bei Corona gesehen haben, denkt die Wissenschaft jetzt anders, und sie muss auch die Möglichkeit haben, sich zu entwickeln. Aber ich höre heute anders hin als vorher, wenn die Wissenschaft jetzt sagt, was passieren kann, weil ich selbst die Erfahrung gehabt habe.

Wie das sprichwörtliche Kind, das sich die Finger an der Herdplatte verbrannte?

Ja. Ich glaube eher jemandem, weil ich die Dimensionen jetzt kenne und selbst erfahren habe. Seit 50 Jahren hören wir Stimmen aus der Wissenschaft, das und das muss sich ändern …

Ja. Es interessiert anscheinend niemanden, aber das sollte es! Mir ist klar, wenn wir auf die Wissenschaft hören und darauf vertrauen, dann bedeutet das Einschnitte für jeden einzelnen. Das will keiner. Und je höher der Lebensstandard, desto weniger will derjenige davon abgeben. Und am meisten tut es an den Punkten weh, die man gerne hat. Ich in meiner Baustelle habe gut reden, da ist momentan nicht viel abzugeben. Aber die Auswirkung von 1,5 Grad mehr, die wissen wir alle, und trotzdem handeln wir nicht! Das hat sich bei mir geändert, seit ich das hier so live erlebt habe. Da kann man nur vorleben, dass man´s anders macht.

Was mich die ganze Zeit getragen hat, war das Schöne.

Josef Mütter

Hat Hochwasser Ihrer Meinung nach mit Klimawandel zu tun?

Ja, eindeutig. Ich glaube, das Thema ist viel komplexer und unter dem Thema Klimawandel nur zusammengefasst. Manche Menschen sagen, es hat schon immer Klimawandel gegeben, ja, das ist richtig. Aber nicht in dieser Häufigkeit und Stärke. Und so eine Haltung macht das Ganze ja nicht besser, das hat etwas von „Nach mir die Sintflut“. Aber ich glaube, das funktioniert nicht mehr. Ne, Leute, vor mir die Sintflut! Das Thema Nachhaltigkeit ist so groß und komplex, das hat alles eine Wirkung. Wenn die Natur uns daran erinnert, ihr müsst hier achtsamer sein, sollte man sich Gedanken machen und selbst handeln.

Fehlt es an Aufklärung?

[seufzt] Das hört sich ein bisschen nach „Du bist blöd und weißt es nicht“ an. Es ist für mich eher ein Vorleben, ohne es besser zu wissen. Wenn Sie zu dieser Zeit in dieser Flut in diesem Laden gestanden wären, dann hätten Sie etwas anderes erlebt und wären anders geprägt worden, weil Sie ein anderes Leben haben. Und würden heute anders denken oder handeln. Es gibt kein Patentrezept, keine einzige Wahrheit. Das heißt, die einzige, die ich sehe, ist, wenn der Planet kaputt ist, dann können wir jedes Rezept vergessen. Darum: Was kann ich auch im Kleinen dazu tun? Der eine Bereich ist der Planet, aber ich muss auch achtsam mit den Menschen umgehen. Wenn in Indien etwas passiert, leiden die Menschen dort genauso und das kann mir nicht egal sein.

Aufgrund der aktuellen Hochwasser warnen Experten und empfehlen mehr Präventionsmaßnahmen, um die Auswirkungen des Klimawandels besser beherrschen zu können…

Im Nachhinein sind wir alle schlauer und haben eine andere Verantwortung als vorher. Ich selbst erlebe es so, dass wir gerade in einer Übergangsphase sind, in der wir merken, so wie wir bisher gelebt haben, wird es nicht mehr weiter funktionieren, aber wir haben noch keine Ahnung, wie es gehen kann. Die Wissenschaft ist da für viele Leute ein Wegweiser. Es gibt auch ein super Buch, lesen Sie mal den Thriller „Ausgebrannt“ von Andreas Eschbach. Es geht darin um die Frage, was passieren würde, wenn es kein Öl mehr gäbe? Es funktioniert nicht zu sagen, wir haben ja noch. Darum ist es gut, wenn sich in der Politik etwas ändert, wenn Frühwarnsysteme aufgebaut werden, aber ich habe auch meine eigene Verantwortung und sollte mich fragen, „Wie kann ich dazu beitragen, dass es besser wird?“

 

 

Josef Mütter ist Buchhändler mit Herz und Seele. Den Online-Shop seiner Buchhandlung finden Sie hier .

 

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