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„Echter Wohlstand ist nicht materiell“

Maria Gottenhuber: „Wohlstand bedeutet, dass man genießt, was man hat."

Erfahren Sie in unserem exklusiven Interview mit Maria Gottenhuber, LinkedIn Top Voice für Nachhaltigkeit und Unternehmensberaterin, was zur Diskussion um den Bericht über Die Grenzen des Wachstumsdazu gehört und welcher Wohlstand der echte ist.

Frau Gottenhuber, die allgemeine Definition von Nachhaltigkeit kommt aus der Forstwirtschaft. Sie besagt, dass man nur so viel abholzen soll, wie nachwächst. Wie lautet Ihre?

Meine Definition ist, so zu leben, dass wir für die Zukunft der Kinder sorgen und auch dafür, dass es allen Menschen heute halbwegs gut geht. Es gibt auch noch die Definition mit ESG, die mir gut gefällt. Dass man Environment, Soziales und Governance, also Umwelt, Soziales und Unternehmerisches, unter einen Hut bringt. Ich komme aus dem Controlling und weiß, dass auch das Ökonomische wichtig ist, aber es gibt auch andere Aspekte, die wir beachten müssen.

Maria Gottenhuber_Wohlstand
Maria Gottenhuber

Ein gekochtes Ei kann man nicht mehr weich machen.

Maria Gottenhuber

Das Terra Institute, bei dem Sie arbeiten, ist ein Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit und Innovation. Das Team arbeitet laut Website „purposegetrieben“: Welcher ist Ihr persönlicher Purpose?

Mein persönlicher Purpose ist, mich für die nächsten Generationen einzusetzen, dass sie ein schönes Leben haben, so wie ich es habe. Das meine ich nicht nur auf meine Kinder bezogen, sondern auf die gesamte Welt: Manche trifft es schlimmer, in Gebieten, in denen es heißer ist als hier, oder dass Menschen woanders unter furchtbaren Arbeitsbedingungen leiden. Mir ist wichtig, dass das Menschenleid geringer wird. Denn die Umwelt wird sich anpassen, aber wir Menschen müssen aufeinander schauen, dass es allen gut geht und die Unterschiede geringer sind als heute. Ich schaue bei allem, was ich mache darauf, dass ich keinen ausnütze. Textil- und Kakao-Industrie, wo sehr viel Ausbeutung dahinter steckt, sind nur zwei Beispiele.

Diese Beispiele und Themen benennen Sie auch in Ihrem Blog „SinnSache“, mit dem Sie zu nachhaltigem Leben motivieren möchten. Wie kam es dazu?

Ich bin sehr dankbar für das, was ich habe. Dass wir in diese Breitengrade hineingeboren sind, wo Frieden ist, wo es uns gut geht, und wo wir in Wohlstand leben. Das hat aber auch damit zu tun, dass unser Wohlstand darauf beruht, dass wir andere Menschen ausbeuten. Das ist für mich nicht nachhaltig. Außerdem leben wir auf Kosten unserer Nachkommen, vor allem was Ressourcen und Klimaerwärmung angeht. Und wir leben auf Kosten der Tiere durch ihre Massenhaltung. Ich hinterfrage das und fühle mich verpflichtet, es anderen mitzuteilen, zum Beispiel in meinem Blog. Mein Herzensthema ist darum auch nur bio, regional, saisonal und fair hergestellte Produkte einzukaufen. So kann ich Artenvielfalt erhalten, Kinderarbeit und inhumane Haltung vermeiden und zu gerechter Entlohnung beitragen.

Auf Ihrem Blog haben Sie auch „Tue Gutes und rede darüber“ umformuliert zu „Tue Nachhaltiges und BERICHTE darüber“. Können Sie uns mehr dazu erzählen?

Entscheidungsträger von speziell kleineren Unternehmen haben oft Hemmungen, einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen. Dann sage ich immer, „Wenn ihr nicht wisst, wo ihr anfangen sollt, dann werdet euch bewusst, dass ihr schon mehr macht als ihr denkt. Und das ist ja total schade, wenn ihr nicht darüber berichtet.“ Für Unternehmen ist es außerdem ein Werbemittel in Zeiten von mangelnden Fachkräften, denen man etwas bieten muss. Immer mehr Mitarbeiter möchten in einem Unternehmen arbeiten, dass sich nachhaltig ausrichtet. Der Sinn der Arbeit steht immer mehr im Fokus. Die potentiellen Mitarbeiter müssen das aber auch wissen, wohin die Reise eines Unternehmens geht.

Welche ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung, dass Nachhaltigkeit in Unternehmen nicht nur ein Prozess ist, an den man jährlich ein Häkchen macht?

Oberste Entscheidungsträger müssen hinter der nachhaltigen Transformation stehen. Das ist die Voraussetzung, dass der Prozess erfolgreich umgesetzt werden kann. Genau so wichtig ist, dass man die Mitarbeitenden mit auf die Reise nimmt! Dass man sie in den ganzen Nachhaltigkeits-Transformationsprozess einbindet! Da würde ich gleich am Anfang die Menschen in einem Unternehmen, von denen bekannt ist, dass sie nachhaltig denken, in dem Projekte eine entscheidende Rolle zuschreiben.

Sollen Firmen CO2 reduzieren oder kompensieren? Wie denken Sie darüber?

Jedes Unternehmen emittiert CO2, es gibt kein CO2-neutrales Unternehmen. Daher auf jeden Fall reduzieren. Denn es geht ja darum, dass jedes Unternehmen weniger CO2 produziert und über gute Maßnahmen verfügt, es zu verringern. Das heißt, dass die Aktionen, die das CO2 nach unten bringen, kurz-, mittel- und langfristig definiert werden. Kompensiert werden am Schluss die Emissionen, die unmöglich zu reduzieren sind.

Was halten Sie von der Begleitung von Expert:innen bei der Transformation?

Von der Begleitung bei der Transformation halte ich sehr viel, weil es ein sehr komplexes Thema ist! Ein Nachhaltigkeitsmanager ist ab einer gewissen Größe überfordert, und der sollte sich, wenn das Thema im Unternehmen noch neu ist, Expert:innen dazuholen. Später, wenn das Unternehmen transformiert ist, wenn Nachhaltigkeit in der DNA des Unternehmens drinnen ist, dann braucht man auch keinen Nachhaltigkeitsmanager mehr, weil es jeder in Fleisch und Blut hat. Das ist aber noch langer Prozess dahin. Auch mit der Regulatorik ist Hilfe von außen nötig. In dem Bereich sollten Unternehmen nicht sparen. Ab 250 Mitarbeitenden ist schon ganz schön groß, aber auch kleinere Zulieferer sollten sich gut vorbereiten und ihre Daten sammeln und dokumentieren.  Auch kleine Unternehmen sollten sich  Expert:innen holen, auch wenn es nur für Spezialfragen ist. In diesem Zusammenhang sollte man sich bezüglich Förderungen schlau machen. Da gibt es oft mehr als man denkt.

Und wie stehen Sie zu Verifizierungen?

Ich finde das super, dass Berichte im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit in Zukunft überprüft werden müssen. Damit entsteht erstens ein Druck auf Unternehmen, die es nicht so genau nehmen. Zweitens entsteht durch die Standardisierung der Berichte und die obligatorische Überprüfung eine Vergleichbarkeit von Unternehmen und drittens wird damit Greenwashing immer weniger möglich. Um es auf den Punkt zu bringen: Vorgaben machen keinen Sinn, wenn man sie nicht prüft. Ich würde es als Unternehmer:in einfach als Ansporn nehmen, die Vorgaben gut umzusetzen. Es ist auch fair, wenn alle das Gleiche machen müssen und dann überprüft werden. Sonst könnte jeder tun, was er will.

Ich finde das super, dass Berichte im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit in Zukunft überprüft werden müssen. Sonst könnte jeder angeben, was er will.

Maria Gottenhuber

Wenn Sie in der Politik wären, was würden Sie ändern?

Ich sage so oft, „Wenn ich etwas zu sagen hätte…“ (lacht) Ich will die Politiker jetzt nicht in einen Topf schmeißen, aber dass wir gelandet sind, wo wir jetzt sind, ist zum großen Teil die Schuld von Politikern. Vor 50 Jahren hat der Club of Rome seinen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ publiziert und wir haben 50 Jahre nichts getan. Darum: Das Erste, was ich tun würde, ist alle Subventionen, die konträr zu Nachhaltigkeit stehen, abzuschaffen. Steuer auf Kerosin, Firmenautos, oder dass Atomkraft gefördert wird. Dann würde ich öffentliche Verkehrsmittel extrem ausbauen, dass man gar nicht mehr Auto fahren möchte. Oder die Mehrwertsteuer nicht nur auf Gemüse, sondern auf Biolebensmittel auf Null setzen, so etwas wird ja in Deutschland gerade diskutiert. Weil wir ja auch ein Biodiversitätsthema haben, wie es um die Artenvielfalt und um unsere Böden steht. Dann würde ich Innovationen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sehr stark fördern. Und ich würde das Lieferkettengesetz weiter forcieren, auch wenn es weh tut. Ich würde das Positive, das von der EU kommt, viel stärker rauskehren.

Sie nennen immer wieder das Buch „Echter Wohlstand“ von Vivian Dittmar, die wie Sie beim Terra Institute gearbeitet hat. Sie definiert darin eine neue Definition von Wohlstand. Könnte das eine Weiterentwicklung von „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome von 1972 sein?

Ja, es gehört auf jeden Fall in die Diskussion dazu. In ihrem Buch gibt es fünf verschiedene Kategorien – Zeit, Beziehungen, Kreativität, Spiritualität, Ökologie. Diese fünf weisen zum Ursprung zurück, dass man genießt, was man hat und nicht nach Weiterem strebt. Sich auf das Wesentliche in allen Bereichen zu fokussieren. Nicht dem nächsten Urlaub nachzulaufen, sondern das Leben so gestalten, dass ich Urlaub nicht brauche. Ein anderes Bewusstsein für Zeit, und dass die Arbeit Spaß macht. Alles, was zum echten Wohlstand dazugehört und nicht zum materiellen.

Viele tun sich schwer mit Nachhaltigkeit, weil sie mit Verzicht verbunden ist. Sie verzichten freiwillig auf Flugreisen. Wie kann der Verzicht zur Freude werden?

Ich denke an die Zukunft unserer Kinder. Ein Flug ist eine der schlimmsten Aktionen, weil alles, was wir an schädlichen Emissionen raufpacken, nicht mehr runterkommt. Das bleibt da oben, und darum erhitzt sich die Erde. Man muss sich ein bissel damit beschäftigen, damit man einige Dinge nicht mehr als Verzicht sieht. Es ist nur deshalb im ersten Moment mit Verzicht verbunden, weil wir in den letzten Jahrzehnten so verwöhnt waren. Ich habe dazu mal einen Beitrag auf LinkedIn geschrieben. In diesem Zusammenhang möchte ich auch die IDGs nennen. Sie kennen sicher die SDGS. Neu sind die IDGs, die „Inner Development Goals“. Da geht es darum, dass Menschen neue Kompetenzen für die innere Entwicklung brauchen, wenn die Welt nachhaltiger werden soll. Ich sehe die Beschäftigung damit als so dringend. Da geht es mehr um die weichen Faktoren, wie Beziehung zu sich selbst, Zusammenarbeit und Social Skills, Handeln und Veränderungen vorantreiben, um kognitive Fähigkeiten und so weiter. Vor allem Entscheidungsträger und Führungskräfte, die ja eine große Verantwortung in Unternehmen haben, müssen sich damit auseinandersetzen.

Sie sind Österreicherin, Ihr Zuhause sind die Berge: Gibt es da Analogien zur Nachhaltigkeit?

Die Berge sind Vorboten. An ihnen sieht man das Thema Klimaerwärmung und Biodiversität sehr schnell. Ich war voriges Jahr mit einem Freund in Triol, genauer im Kaunertal unterwegs. Das war einschneidend: Wir sind rauf auf den Berg, viele Stunden, und 200 Meter vor dem Gipfelkreuz mussten wir umkehren, weil das Gestein so locker war. Da war früher überall Gletscher. Und in der Berghütte, in der wir dann zur Übernachtung waren, da sagte die Hüttenwirtin, Du kannst viele Berge bei uns hier nicht mehr besteigen, weil es so warm wird.

Wie ist Ihr Lebensgefühl, wenn Sie an den Klimawandel denken?

Ich glaube, dass alles gut wird. Wenn das nicht so wäre, würde mir ja der tägliche Antrieb für mein Tun fehlen. Aber die Zeit drängt. Wenn wir so weitermachen, gehen wir auf eine Erderwärmung von 4-6 Grad zu. Ich habe großen Respekt vor den Kipppunkten, wie der Verlust von Permafrost, Absterben des Regenwaldes, Absterben von Korallenriffen, Gletscherverlust und so weiter. Wenn das zu stark aus dem Gleichgewicht kommt, kann das zu nicht absehbaren Folgen führen und nicht mehr rückgängig gemacht werden. Ein gekochtes Ei kannst du nicht mehr weich machen. Wenn wir zu spät nachhaltige Aktionen setzen, kann das verheerende Folgen haben, deshalb zählt der Einsatz für jedes Zehntelgrad. Wir sind spät dran, aber wir dürfen nicht resignieren, sondern müssen schauen, wo wir einen Beitrag leisten können. Unternehmen müssen nach dem größten Hebel schauen und wir sollten das auch privat so machen. Wir dürfen uns nicht ausruhen und auch nicht auf andere warten. Dann können wir das Ruder noch rumreißen.

Podcasts, die Maria Gottenhuber empfiehlt: „Mensch Erde! Wir könnten es so schön haben“ – „Edition Zukunft“ – „Global 2000“ – „Beyond tomorrow“ – „Utopia“ – „Gewinne Zukunft“. Denn: „Es ist ganz wichtig, sich von anderen Menschen inspirieren zu lassen. Da fängt Nachhaltigkeit an. Nicht damit, dass man das Licht ausschaltet, sondern dass man sich als Mensch genau wie ein Unternehmen fragt: Wo sind meine größten Hebel?“

   

Maria Gottenhuber ist LinkedIn-TopVoice für Nachhaltigkeit und eine der 100 Female Sustainability Leaders. Die Bloggerin und Unternehmensberaterin startete ihren Werdegang im Finanzbereich, doch die Liebe zum Planeten war größer. Seither berät die Österreicherin Unternehmen bei ihrer Transformation zu nachhaltigem Wirtschaften.  Maria Gottenhubers Blog finden Sie auf: https://sinnsache.at/