Ich übersetze Nachhaltigkeit immer mit dem Wort Zukunftsfähigkeit. Damit möchte ich dem Eindruck entgegenwirken, dass es bei Nachhaltigkeit nur um Umwelt ginge. Tatsächlich haben wir ja die drei Dimensionen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Und dies zeigt, wie weit das Feld gesteckt werden muss, um alle Aspekte zu betrachten, die für die Zukunft eines Unternehmens eine Rolle spielen.
Klassischerweise denken bei Nachhaltigkeit viele an den Klimawandel. Das ist auch richtig, aber eben nur ein Thema von vielen. Genauso wichtig ist es für ein Unternehmen, andere Umwelthemen zu betrachten wie Wasser, Abfall, Artenschutz. Das hängt stark vom Unternehmen selbst ab. Ein anderes Beispiel aus dem sozialen Bereich: Nur wenn man sich systematisch um die eigene Belegschaft kümmert, hat man in Zeiten des Fachkräftemangels überhaupt noch Chancen, als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden und Talente zu halten oder zu gewinnen. Die systematische Betrachtung dieser breiten Palette an Nachhaltigkeitsthemen ergänzt das klassische Risikomanagement eines Unternehmens und sollte Teil jeder Unternehmensstrategie sein.
Ganz wichtig ist, sich in dieser Themenflut nicht zu verlieren. Vielmehr gilt es, sich auf die wirklich wichtigen zwei bis drei Themen zu fokussieren. Dabei hilft zum Einstieg die Wesentlichkeitsanalyse. Die Wesentlichkeitsanalyse schafft Orientierung und damit die Basis dafür zu entscheiden, welche Themen wirklich auch unter Chancen- und Risikogesichtspunkten strategisch im Unternehmen verankert werden sollten. Und das gilt übrigens für große, berichtspflichtige Mittelständler genauso wie für kleine Unternehmen.
Im Grunde geht es allen Unternehmen ähnlich, sie müssen viel transparenter über ihre Nachhaltigkeitsleistung berichten. Die Großen zum Beispiel mit über 50 Millionen Euro Umsatz und über 250 Mitarbeitenden sind regulatorisch dazu verpflichtet, Anfang 2026 über das Geschäftsjahr 2025 zu berichten. Das bedeutet, dass sie schon Anfang 2025 wissen sollten, welche Kennzahlen sie erheben, um dann im Geschäftsbericht 2026 entsprechend darüber zu berichten. Meiner Erfahrung nach sind viele Unternehmen gerade noch mitten in diesem Prozess.
Auch ohne die direkte regulatorische Notwendigkeit nimmt der Druck für kleinere Mittelständler zu. Dies liegt oft daran, dass sie Teil der Lieferkette eines berichtspflichtigen Geschäftskunden sind, der wiederum systematisch berichten muss. Oder auch, weil die Bank nach spezifischen Kennzahlen fragt, oder, oder, oder… Klar ist, große wie kleine Unternehmen müssen künftig nicht nur über finanzielle Kennzahlen, sondern auch nicht-finanzielle Kennzahlen berichten. Erst dadurch erhält ein interessierter Stakeholder einen ganzheitlichen Eindruck über den Zustand und die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens.
Unter nicht-finanziellen Kennzahlen verstehe ich sämtliche Kennzahlen zu Nachhaltigkeitsthemen. Wir hatten vorhin die drei Säulen der Nachhaltigkeit erwähnt. Also im Bereich Umwelt könnten das dann die Tonnen emittierter Treibhausgase sein, im sozialen Bereich etwa die Fluktuationsrate, bei Geschäftsführung die Anzahl der gemeldeten Betrugsfälle.
Alle Unternehmen müssen viel transparenter über ihre Nachhaltigkeitsleistung berichten.
Den größten Informationsbedarf in Sachen Nachhaltigkeit sehe ich vor allem darin, dass Nachhaltigkeit nicht als reine Pflichtübung angesehen werden sollte, sondern als strategische Aufgabe, um Chancen und Risiken eines Unternehmens ganzheitlich zu managen. Nachhaltigkeitsmanagement ist für mich integraler Bestandteil des Risikomanagements und damit der Unternehmensstrategie eines jeden Unternehmens. Das sehen im Augenblick noch nicht alle so.
Es gibt zig Seminare und Bücher darüber, wie man eine Wesentlichkeitsanalyse durchführen sollte. Gerade auch für die berichtspflichtigen Unternehmen hat die EFRAG Umsetzungsempfehlungen veröffentlicht, die man sich vor einer Wesentlichkeitsanalyse angeschaut haben sollte. Die Einbindung einer Nachhaltigkeitsberatung, die sich mit dem Mittelstand auskennt, ist sicherlich auch hilfreich und beschleunigt den Prozess.
Um die wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen zu identifizieren, spielt die Analyse der eigenen Wertschöpfungskette eine zentrale Rolle. Durch die systematische Betrachtung der Lieferanten, der eigenen Prozesse im Unternehmen sowie der Kunden und dem Produktverbleib wird deutlich, wie sich alleine hierdurch der Betrachtungshorizont eines Unternehmens erweitern kann.
Auf einmal kann es sinnvoller sein, Produktkreisläufe zu schließen und Produkte wieder zurückzuholen, anstatt sie einmalig zu verkaufen und den Kunden sie wegzuwerfen zu lassen. Aus dieser Betrachtung erhält man viele Erkenntnisse, die es dann aus zwei Perspektiven zu bewerten gilt. Die eine Perspektive zielt auf die Auswirkungen ab, die das Unternehmen in Umwelt und Gesellschaft verursacht, also quasi die „inside-out“-Perspektive. Die zweite Perspektive ist dem klassischen Risikomanagement sehr ähnlich und bewertet die Auswirkungen, die eine sich verändernde Umwelt und Gesellschaft auf das Geschäftsmodell des Unternehmens haben kann, die „outside-in“-Perspektive. Im gesamten Prozess ist es wichtig, sich durch die Einbindung der relevanten Stakeholder rückzuversichern und Anregungen einzuholen.
Eine Wesentlichkeitsanalyse ist die Basis, um sich systematisch mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen.
Die Stakeholder zu kennen und einzubinden ist extrem wichtig. Alleine die Identifizierung und systematische Bewertung der unterschiedlichen Gruppen, ihrer Erwartungen oder auch ihrer konkreten Ansprüche an das Unternehmen ist oftmals bereits ein erkenntnisreicher Prozess. Unternehmen machen ja schon oft regelmäßige Kunden- oder Mitarbeiterbefragungen. Doch daneben gibt es häufig noch andere wichtige Anspruchsgruppen, deren Erwartungen es ebenfalls zu berücksichtigen gilt. Und die idealerweise auch systematisch eingebunden werden, sei es durch Befragungen, Workshops, dem Einrichten von Beiräten oder ähnlichen Formaten.
Die Themenliste der EFRAG ist ein guter Ausgangspunkt. Hier sind bereits viele relevante Themen bis auf die Ebene der Kennzahlen ausgearbeitet. Die Kunst besteht dann eher darin, den Fokus auf die relevanten Themen zu setzen, denn nur diese müssen ja auch am Ende berichtet werden. Dahinter steckt die Vorstellung, sich lieber auf zwei oder drei große Themen zu fokussieren, die man als Unternehmen tatsächlich beeinflussen kann, als sich zu verzetteln. Diesen Ansatz teile ich übrigens zu hundert Prozent. Durch die eben beschriebene Analyse und Bewertung sowie durch die Einbindung der Stakeholder kommt man recht schnell auf eine Short-List an relevanten Themen und dann über die grafische Darstellung in der Wesentlichkeitsmatrix auch auf die Top 3 Themen.
Die Wesentlichkeitsmatrix stellt das komprimierte Ergebnis der Wesentlichkeitsanalyse in einem Koordinatensystem dar. Die Bewertungen der ESG-Themen werden eingetragen. Auf der X-Koordinate wird normalerweise die Inside-out Bewertung abgebildet und auf der Y-Koordinate die Outside-in Bewertung. Themen, die sowohl in Bezug auf ihre Nachhaltigkeitswirkung als auch auf ihre finanzielle Auswirkung hoch eingestuft wurden, finden sich oben rechts im Koordinatensystem wieder. Diese Themen gilt es entsprechend strategisch zu erzielen und mit Kennzahlen zu belegen. Was uns an den Anfang unseres Gesprächs zurück bringt.
Mittelständler, egal welcher Größe, sollten sich systematisch mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen, sich dabei aber nicht verzetteln. Man sollte sich vielmehr auf die wesentlichen Themen fokussieren und dafür ambitionierte Ziele setzen, über die man dann jährlich transparent berichten kann. Die Wesentlichkeitsanalyse sollte hierfür die Basis bilden.
Damit wir Sie nachhaltig bewerten, begleiten und begeistern können, abonnieren Sie gerne unseren Newsletter!
Datenschutz*
"(erforderlich)" indicates required fields